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- Einmal durch unsere Augen sehen -

  • Autorenbild:  [ Drahtseiltaenzerin ♥ ]
    [ Drahtseiltaenzerin ♥ ]
  • 4. Aug. 2018
  • 8 Min. Lesezeit

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Wie oft wünschen wir uns das von unseren Mitmenschen; dass sie alles nur einmal durch unsere Augen sehen könnten um uns vielleicht nur ein kleines bisschen besser zu verstehen.

Bilder sagen mehr als 1000 Worte. In vielerlei Hinsicht mag das stimmen, aber man kann auch mit Worten Bilder malen. Anlässlich dessen, wie unterschiedlich psychische Krankheiten, Erkrankte und die Wahrnehmungen ihrer Welt sind, hab ich einen Versuch gestartet: ich bat meine treuen Leser ihre Empfindungen in Worte zu fassen & bekam dabei die unterschiedlichsten Texte. Jedoch haben sie alle eines gemeinsam: sie gehen unter die Haut. Die Veranschaulichung unserer Gefühle soll den ein oder anderen Einblick geben, wie Menschen wie wir uns und unser Leben wahrnehmen. Die Namen zu den Texten werde ich nicht preisgeben, jedoch die jeweilige Diagnose dazu schreiben und selbstverständlich habe ich selbst auch einen Text verfasst. Ich möchte nicht lange um den heißen Brei herum reden und euch nun einen Eindruck unseres Daseins ermöglichen:


"Ich bin ein Mensch wie jeder andere, das einzige was mich von "normalen" Menschen unterscheidet ist, dass mich ein schwarzer Schatten verfolgt. Ich kann ihn nicht sehen und auch niemand sonst kann das, aber ich spüre seine Anwesenheit allgegenwärtig. Ähnlich wie in paranormalen Filmen; ich selbst bezeichne meine Krankheit, diesen Schatten auch gern als Dämon. Denn genau so kann man es sich vorstellen. Etwas, das nicht greifbar, nicht sichtbar, nicht vorstellbar ist, nur spürbar. Und es verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Wenn ich Momente oder gar Tage der Stärke habe und über mich hinaus wachse, dann versteckt er sich irgendwo, er findet in mir keinen Nährboden. Aber er verlässt mich nicht. Niemals. Denn er weiß, dass diese Phasen nicht für ewig sind. Es werden wieder Momente kommen in denen ich erfüllt bin von Angst, von Trauer und Einsamkeit. Und das ist ein Festmahl für ihn. Er labt sich an meiner Unsicherheit, an meiner Verletzlichkeit. Und wenn er sich satt gegessen hat und ich innerlich leer bin, dann stehen seine Kraft und meine Leere in direkter Proportion. Dann ergreift er Besitz von mir. Er füllt meine Leere mit seiner schwarzen Präsenz und lenkt von da an wieder mein Denken und mein Handeln. Ich kann seine grässlich, herrische Stimme in meinem Kopf hören, aber ich bin nicht schizophren. Es ist keine fremde Stimme, es ist meine eigene, meine eigenen Gedanken, aber sie sind so anders. So hässlich. So vernebelt von dunkler Essenz. So hasserfüllt. Wie in eben diesen Filmen bin ich seiner Macht vollkommen ausgeliefert und verhalte mich wie ferngesteuert durch seine Befehle. Ich bin nicht ich selbst. Und manchmal, wenn seine tyrannische Herrschaft für eine Weile wieder ein Ende hat, kann ich mich an manche Dinge die ich getan, gedacht oder gesagt habe gar nicht mehr erinnern. Es ist als hätte es er getan und würde es mit seinem Verschwinden auch wieder aus meinem Gedächtnis herauslösen. Ich kann nichts gegen ihn tun. Gar nichts. Er ist da, für immer. Ich kann lediglich lernen mit ihm zu leben und ihm so wenig wie möglich Gelegenheit geben mich anzugreifen."

(Justine, 23: Borderline, schwere Depressionen, Angst- und Panikstörung)



"Ich kann auch in Bildern: Manchmal wünsche ich mir, ich wäre so taff wie alle denken, dass ich es bin oder nach außen den Eindruck mache aber tief in mir drin bin ich wohl eher ein scheues, verwundetes Reh und ich hasse die Tage, an denen es auf sich aufmerksam macht!"

(Depressionen)



"An guten Tagen ist es wie ein Feld blühender Mohnblumen, gehüllt in Luftballons, gefüllt mit buntem Konfetti - das blühende Leben. Oft ist es aber auch eine rasante Achterbahnfahrt mit einem totalem Wechselbad der Gefühle - es schwankt zwischen dem Adrenalinkick und der Vorfreude darauf, dem Geschwindigkeitsrausch zu verfallen, wie auch der Angst vor der Höhe, weil man weiß es geht danach steil Berg ab. Verbunden mit einigen Loopings und Schrauben wird es am Ende wieder die Waage finden."

(nicht diagnostiziert)



"Weißt du was das Schlimmste ist? Das Schlimmste ist da zu sitzen, inmitten von Menschen und dich total alleine zu fühlen. Du spürst, dass sie dich anglotzen und damit keiner etwas merkt musst du dich zwingen sie an zu lächeln. Und das ist ein ganz widerliches Gefühl. Wenn dein Herz weint und du dich zwingen musst fröhlich auszusehen - da krümmt sich alles zusammen im Bauch. Es ist ein Gefühl, als müsstest du kotzen. Als müsstest du deine ganzen scheiß Gefühle direkt vor die Füße der Leute kotzen. Aber du tust es nicht. Nein. Du lächelst, sagst ein paar oberflächliche Sätze und hoffst, dass sie dann endlich die Klappe halten. Dass sie dich in Ruhe lassen. Denn du ertrinkst lieber allein in deinen eigenen Tränen, als das verlogene Mitleid dieser oberflächlichen Gesellschaft über dich einrieseln zu lassen. Und wenn du dann einsam da sitzt, dann kommen die Fragen. Du kannst nichts dagegen tun. Sie überwältigen dich. Warum sitz ich hier so scheiße allein? Ist man immer allein im Leben wenn es mal drauf ankommt? Was ist eigentlich der verdammte Sinn dieses Lebens? Innerlich schreist du, innerlich weinst du, innerlich zerreißen dich die Fragen, aber äußerlich starrst du nur. Du sitzt da und starrst und wartest darauf, dass es endlich vorbei ist. Bitte lass es endlich vorbei sein... Und was kommt dann? Wenn die Fragen überhand nehmen, wenn es einfach nicht aufhört? Wenn du mit dem Schmerz nicht mehr umgehen kannst? Dann fängst du an zu Kratzen. Nur ganz kurz, denkst du. Du spürst Erleichterung, aber die hält sich nicht. Du musst weiter Kratzen, immer stärker. Du kannst einfach nicht aufhören. Solange bis es brennt, bis deine Fingernägel blutig sind. Dann hasst du dich. Weil du mal wieder die Kontrolle verloren hast."

(nicht diagnostiziert)



"Ich würde es so beschreiben: man ist gefangen in sich selbst. Man kennt sich selbst nicht mehr. Man ist verzweifelt, weil man nicht weiß wie man das Gefühl wieder los wird und man fühlt sich alleine auch wenn es vielleicht nicht so ist. Man verliert irgendwann die Hoffnung das es besser wird, weil es einfach schon lange Zeit so schlimm ist. Man fühlt sich nicht verstanden, weil man meist nicht ernst genommen wird und nur Sätze zu hören bekommt wie: „Denk doch nicht immer so viel nach“... usw. ! Einfach nicht so viel denken ist aber nicht EINFACH! Es ist schwer, verdammt schwer !!! Man will einfach akzeptiert werden mit der Krankheit und nicht komisch angeschaut werden. Wir sind Menschen wie alle anderen auch nur eben mit einer Krankheit. Aber wir sind deshalb nicht weniger wert. Wir können auch lachen! Uns geht’s auch mal gut. Aber wir liegen auch manchmal 24h im Bett und das ist völlig okay und sollte akzeptiert werden. Nicht viel fragen - warum wieso weshalb ? Es ist dann einfach so. Man kann meist als psychisch kranker Mensch nicht beschreiben warum die Gefühlslage gerade so ist wie sie ist. Es ist einfach gerade so wie es ist ! Und man muss wissen das jede Depression anders ist. Bei jedem Betroffenen gibt es andere Symptome. Wenn der eine Antidepressiva braucht, um besser klar zu kommen, dann heißt das nicht, dass der andere das auch braucht. Man muss seinen eigenen Weg finden. Es ist nicht immer leicht, im Gegenteil, es ist sogar verdammt schwer, aber ich gehe diesen Weg seit fast einem Jahr mit Therapie und Antidepressiva und mir geht es nur ganz ganz langsam besser, mit vielen Rückschritten, aber die gehören einfach dazu und irgendwann kommen auch wir an unser Ziel! Geduld und Mut ist das was wir niemals verlieren dürfen!"

(schwere Depressionen, soziale Phobie, generalisierte Angststörung und Trennungsangst)



"Wenn ich höre das ein Mensch psychisch krank ist, tut es mir sehr leid. Ich frage mich was diesem meist netten Menschen passiert sein muss und frage mich wie ich ihm helfen kann. Ich rede mit meinem Partner darüber und genau in diesen Momenten fällt mir auf das ich selber krank bin und erstmal mir selber helfen muss. Dann geht das große Denken los und ich möchte blitzschnell eine Heilung dahinlegen, die alles weg macht und ich behaupten kann ich sei gesund. Dieser Zustand hält dann an bis zur nächsten Panikattacke, Flashback oder ich sehe einen Menschen den ich nicht sehen will. Schon stehe ich wieder voll in meiner schwarzen Höhle und meine Dämonen kämpfen gegen mich an. Die machen mich klein. Bis ich nachgebe und denke ich sei klein. Mittlerweile ist mein Partner so weit zu merken, dass es wieder so weit ist und kämpft für mich und dann auch wieder mit mir gegen diese Dämonen. Es wird ein noch sehr langer Weg werden. Aber wir sehen viele Fortschritte. Oberflächlichkeiten wie mein Bauch oder meine Arme interessieren mich zwar noch, aber sie stören mich nicht mehr. Oft habe ich auch das Gefühl einfach stehen zu bleiben und mich nicht weiter zu entwickeln. Gerade in so Momenten hilft mir meine Therapeutin dann dabei. Für mich ist es in meinem Alltag oft eine Einschränkung. Es gibt Situationen in denen ich mich nicht traue ein Eis zu bestellen, weil ich mich wieder so klein mache oder mir im Weg stehe und der Meinung bin ich habe mir kein Eis verdient. Depressionen oder generell psychische Erkrankungen sind individuell. Du kannst die Symptome nicht auf andere münzen oder vergleichen. Man kann bzw. sollte sich immer Hilfe holen und auch annehmen. Ich habe oft gehofft mich würde man gesund zaubern und ich müsste nicht dafür kämpfen, denn das wäre zu anstrengend. Doch dank meiner Tochter oder Beziehung durfte bzw. wollte ich merken das es sich lohnt. Und ja... um Himmelswillen es lohnt sich.

(posttraumatische Belastungsstörung)



"Und wenn es in meinem Kopf einen Schalter gibt, dann bitte lass mich ihn finden. Und lass mich ihn umlegen, damit das Karussell ein Ende hat, die Kirmes in meinem Kopf endlich die Lichter ausmacht, diese vielen Menschen endlich nicht mehr dröhnend umher grölen und das dauernde Feuerwerk beendet wird. Bummmmmm! Ah Hilfe! Dunkel. Wo bin ich? Stille. Aber nein, Hilfe! WO BIN ICH? Bitte mach es laut! Mach es bunt! Wo sind die Menschen? Wo ist der Trubel? Ich will jemanden sehen! Hören! Will das Karussell spüren! Ich spüre nichts mehr! Da ist nichts. Leere. Dunkelheit. Stille. Ich hab Angst - wo ist der Schalter?"

(Borderline)



Gerade den letzten Text finde ich persönlich unglaublich ausdrucksstark. Die Verfasserin leidet so wie ich an der Borderline-Persönlichkeitsstörung und ich finde dieser kurze Einblick gibt so vieles wieder. Denn sie beschreibt genau das bildlich perfekt: stürzt über uns alles auf uns ein, dann ist alles zu viel - ist es still und keiner mehr da, dann ist es zu wenig.

Wir fühlen zu viel, wir fühlen zu wenig - Schwarz und Weiss. Es gibt keine Grauzone, nichts dazwischen. Genau so fühlt es sich an.


An anderer Stelle möchte ich mich noch bedanken, dass zwei voneinander unabhängige Menschen zur Sprache gebracht haben, dass man psychische Krankheiten nicht pauschalisieren kann. Jeder Erkrankte ist mit seiner Erkrankung individuell. Wie oft musste ich mir anhören: "Schau mal, sie ist so stark und schafft das auch alles ohne Tabletten, warum kannst du das nicht?" - WEIL ICH ES NICHT KANN, VERDAMMT.

So einfach ist das!

Nur weil er oder sie oder sonst wer anders mit seiner Erkrankung umgeht als ich oder er oder sie oder sonst wer, heißt das nicht, dass wir nicht ernsthaft krank sind.


Und noch etwas an Nichtbetroffene in eigener Sache: solche Sätze wie im obigen Absatz: schenkt sie euch. Bitte, sagt so etwas niemals zu einem psychisch kranken Menschen.

Ich mag stabil genug gewesen sein um ihn zu verkraften, aber das ist nicht jeder. Für uns hören sich diese scheinbar gut gemeinten Sätze nämlich ganz anders an. Bleiben wir beim obigen Satz:


Kleines Beispiel:

"Schau mal, sie ist so stark und schafft das auch alles ohne Tabletten, warum kannst du das nicht?"


Fehlinterpretierte Nachricht des Empfängers:

"Schau mal, du bist so schwach, dass du Tabletten brauchst, obwohl andere es auch ohne schaffen, warum kannst du das nicht auch einfach alleine?"


Und jetzt stellt euch mal vor, was das in Menschen wie uns auslöst: Unzulänglichkeit, Scham, Abwertung, Nutzlosigkeit. Das brauchen wir nicht, das haben wir zu genüge.

Bitte hört auf, psychisch kranke Menschen zu vergleichen. Vor allem, wenn es sich um völlig unterschiedliche Diagnosen handelt.

Einem Patienten mit Lungenentzündung sagt man ja auch nicht: "Schau mal, der da hat einen schlimmen Kratzer am Arm, der hat sich auch nicht so."


Erst Denken, dann Handeln und nicht vergessen: "Mach doch einfach dies, lass doch einfach das" - Einfach ist nicht einfach, einfach ist am schwersten.
 
 
 

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