top of page

- Rückblick: Meine alles verändernde Entscheidung - Teil 2

  • Autorenbild:  [ Drahtseiltaenzerin ♥ ]
    [ Drahtseiltaenzerin ♥ ]
  • 18. Mai 2018
  • 7 Min. Lesezeit

21.04.2016 - Der "große" Tag


Es war ein Tag voller Herausforderungen, ein Tag an dem ich mich selbst an meine Grenzen bringen würde. Es war nicht bloß die Tatsache, dass ich heute meinen "Kennlern"-Termin beim Psychotherapeuten hatte, die auf mir lastete, sondern dass ich alleine durch die Stadt würde laufen müssen.


Wo wir bei einer meiner größten Ängste wären: alleine unterwegs; alleine unter Menschen zu sein. (Es ist auch nicht gerade förderlich, dass man sich als Frau prinzipiell kaum noch alleine auf die Straße trauen kann.) Man kann dieses Gefühl kaum beschreiben, aber versetzt euch doch mal in die Lage eines Menschen, der unvorstellbare Höhenangst hat, gerade auf dem Eiffelturm steht und jeden Moment bei einem Bungeeseil da runter springen muss. Jetzt habt ihr gerade mal ansatzweise eine Ahnung, wie es für mich sein muss, denn während der Bungeespringer nach dem Sprung allmählich spürt wie das Adrenalin den Endorphinen weicht, wird es bei mir von mal zu mal schlimmer und je länger ich mich allein unter fremden Menschen aufhalte, desto größer wird diese negative innere Spannung. Es ist so als würde sich von innen ein großer Ballon unaufhaltsam aufblasen, dir von innen die Luft abschnüren und gleichzeitig lastet von außen ein tonnenschweres Gewicht auf deiner Brust, der sich schwerer und schwerer anfühlt je Größe der Ballon wird.


Es war kurz vor um eins, als mein Mann mich weckte und sich quasi im nächsten Moment schon wieder verabschiedete, da er ja selbst einen Termin hatte. Er war dann also schon unterwegs, als ich gerade mal richtig wach geworden war. Es war dann mittlerweile halb zwei. Gegen halb/dreiviertel vier würde ich loslaufen müssen, also entschied ich mich noch eine halbe Stunde fern zu sehen und um zwei ging ich dann duschen.

Als ich fertig war, war es dann kurz nach halb drei. Mir wurde zunehmend unwohler, ich bekam innerlich regelrechte Panik und ich wusste nicht was mich mehr stresste: der Gedanke an den Termin selbst oder allein schon der Weg dahin.

Ich hatte schon zwei Tage vorher ein paar Leute gefragt, ob Sie mich telefonisch begleiten könnten und ich hatte dann auch jemanden gefunden, der sich dazu bereit erklärt hatte, aber irgendwie beruhigte mich dieser Gedanke heute überhaupt nicht. So beschloss ich also, wider meiner Vernunft - von der im Moment eh nicht viel zu erwarten war - etwas zur Beruhigung zu nehmen, was mich bis jetzt immer entspannen konnte - wie gesagt: bis jetzt. Es wurde jedenfalls ein kleines bisschen besser. Da sich in der Nähe des Therapeuten ein Waffenladen befand wollte ich vorher noch Geld abheben, um mir dort endlich mal ein Pfefferspray zu kaufen. Vielleicht gab mir das, anlässlich der Umstände, wenigstens ein Stück weit ein Gefühl von Sicherheit. Wie ich später feststellte ist man doch etwas ruhiger, wenn man weiß, dass man etwas zur Selbstverteidigung direkt in der Hand hält, aber bis dahin musste ich den Weg alleine gehen.

Im übrigen eine tolle Metapher wie ich finde, denn eines jeden Menschen Weg wird niemals ein anderer gehen, wir laufen alle für uns alleine - ein Leben lang. Wir werden Begleiter und vielleicht sogar Freunde finden, die an unserer Seite mit uns gehen, aber niemals wird auch nur einer von denen in unseren Schuhen laufen.

Als ich mich auf den Weg machte war es kurz vor halb vier, da ich nicht wusste wie lange ich laufen würde, wenn ich vorher noch zur Bank und in den Waffenladen wollte.

Ich ließ meine Kopfhörer diesmal zu Hause, obwohl es mir besser geht wenn ich meine Umwelt ausblenden kann. Auch habe ich nicht gleich meine Kontaktperson angerufen, ich weiß nicht warum, aber ich glaube ich wollte mich meiner Angst aussetzen. Heute sollte der Tag sein, an dem ich mich dazu entschieden habe mein Leben zu ändern, warum nicht gleich damit anfangen?

Ich war wahnsinnig unruhig und der Mann hinter mir, der eine Weile denselben Weg hatte wie ich, machte das nicht gerade besser. Ich fühlte mich ständig beobachtet oder verfolgt. Ich weiß nicht so recht ob meine Abneigung gegen Menschen meinen Verfolgungswahn bestärkte oder umgekehrt.

Ich steckte mir eine Zigarette nach der anderen an so nervös war ich.


Als ich meine erste Etappe erreichte und endlich im Bankgebäude war, fiel ein wenig Anspannung von mir ab. Doch genauso schnell verflog der Augenblick der Entspannung wieder, denn ich musste feststellen, dass, wenn ich unversehrt beim Therapeuten ankommen wollte, ich die vierspurige Straße im Berufsverkehr vielleicht nicht einfach so überqueren sollte.

Autos haben zwar Bremsen, aber nur die wenigsten scheinen das auch zu wissen.

Ich musste also ein paar Meter weiter bis zur Fußgängerampel laufen und somit einen Umweg von mindestens zehn Minuten.

Klingt nicht gerade schlimm? - Leide mal unter Verfolgungswahn!


Wenn ich so darüber reflektiere, denke ich manchmal dass ich diesen Umweg gehen musste; dass es einen Grund hatte, weshalb ich da hatte lang laufen müssen, denn hinterher haben sich die Strapazen doch mehr als gelohnt. Ich war immer noch allein und ohne telefonische Begleitung oder Musik unterwegs. Das machte sich ein paar Minuten später auch bemerkbar, denn ohne Ablenkung fängt mein Kopf an zu denken und das ist in 90% der Fälle definitiv keine gute Idee. Ich würde in ca. zwanzig Metern rechts abbiegen müssen und jetzt passierte etwas, dass ich als den "mit Abstand schönsten Moment an diesem Tag" und "den bislang schönsten Zufall in meinem Leben" bezeichnen möchte:

Ich lief, in negativen Gedanken verloren, geradeaus, als so viele Dinge meinen Kopf fluteten, dass mir regelrecht schlecht wurde und Tränen in mir aufstiegen.

Ich befürchtete mich jeden Augenblick in aller Öffentlichkeit übergeben zu müssen, als plötzlich ein Auto an mir vorbei fuhr, auf dessen Heckscheibe in großen, gelben Buchstaben folgender Banner klebte:



Das war wie ein Schlag ins Gesicht, aber nicht im negativen Sinne. Alle meine Zweifel verstummten für diesen einen Augenblick und ich könnte schwören, dass ein kleines, nicht wahrzunehmendes Lächeln über meine Lippen huschte. Innerlich habe ich auf jeden Fall schmunzeln müssen. Wie ich schon sagte: der Umweg hatte wohl seinen guten Grund. Manchmal hat das Universum eine seltsame Art so manche Angelegenheiten der Menschen zu klären, aber diese war wohl einer der besten Schachzüge. Das vage Gefühl von Erleichterung sollte die letzten Meter meines persönlichen Marathons anhalten, bis ich auf der richtigen Straße vor Hausnummer 6 stand.


Ich hatte noch etwas Zeit, da ich nun doch erst nach meinen Termin in den Waffenladen gehen wollte. Ansonsten wäre ich vielleicht noch zu spät gewesen und dieses Risiko wollte ich auf keinen Fall eingehen! Wie sich später noch herausstellte ist es meinem Therapeuten lieber, wenn man eine Minute zu spät ist, als fünf Minuten zu früh. Er meinte so würden sich die Patienten nicht unbedingt treffen, was manchen unangenehm sein könnte - verstehe ich. Ich stand also vor diesem riesigen Tor, rauchte noch eine Zigarette und war mir noch nicht ganz schlüssig, wie ich denn überhaupt da rein kommen soll. Von außen war keine Klinke am Tor und in meiner extremen Aufregung habe ich auch das Klingelschild einfach mal komplett ignoriert. Ich war schon wieder gnadenlos überfordert, als das Universum zum zweiten Mal eine Angelegenheit für mich klärte: eine Bewohnerin des Hauses, die offenbar mit dem Fahrrad irgendwo hin wollte, öffnete das Tor von innen und mir fiel ein weiterer Stein vom Herzen. Als ich aufgeraucht hatte ging ich dann also in den Zwischenhof und betrat das Gebäude. Im Inneren sah es aus als wäre das ein gewöhnliches Mehrfamilienhaus. Ich fand auch kein Schild, dass mir den Weg zu den Praxisräumen hätte weisen können.

Toll, bei meinem Glück ist die Dame von vorhin schon weg und ich irre wie ein Zombie durchs Haus.

Keine Ahnung warum, aber das Universum schien in Geberlaune zu sein - sie war noch da. Noch bevor ich auch nur zum Luftholen ansetzen konnte, fragte sie mich wo ich denn hin wollte. "Ich wollte zu Herrn Müller*" sagte ich. Ich wusste noch nicht was ich von so viel positiven Zufällen halten sollte, klar, ich bin ja auch keine Zufälle zu meinen Gunsten gewohnt. Sie sagte mir wo ich hin muss und da stand ich nun: Vor der Tür hinter der Menschen gebrochen, aber auch geheilt werden. Und ich dachte wirklich, bei mir gebe es nicht mehr viel, dass noch brechen könnte - ich sollte später eines Besseren belehrt werden.


Ich nestelte an meiner Tasche herum und ergatterte einen Kaugummi, meinen letzten. Mit zitternder Hand betätigte ich den Taster der Klingel. Mir schossen tausend Sachen durch den Kopf: "Wie würde das Sprechzimmer aussehen?", "Wie sieht der Mann mit der beruhigenden Stimme aus, dem ich mich gleich öffnen werde?" und "Werde ich mich bei ihm wohlfühlen?".

Die Tür ging auf und vor mir stand Herr Müller: ein großer, schlanker Mann mit kurzen, blonden Haaren. Ich gab ihm freundlich die Hand und sagte etwas unsicher, dass ich um vier einen Termin bei ihm hätte. Als würde er merken wie verunsichert ich bin lächelt er mich an und bat mich herein. Die Praxis wirkte klein und irgendwie mehr wie ein kleines Büro, aber ich fühlte mich durchaus wohl.

Ich hängte meine Jacke an einem Kleiderbügel auf - ich hätte sie an einen Haken hängen sollen, den ich fummelte recht unbeholfen an ihr herum.

Herr Müller sagte mir dass es noch einen Moment dauern würde und zeigte mir das Wartezimmer. Vor meinem geistigen Auge griff ich mir an den Kopf: eine rote Couch, im Wartezimmer - na klar!

Ich setzte mich auf die Couch und schrieb meinem Mann schnell noch eine SMS, natürlich musste ich ihn von der Couch erzählen. Dann versuchte ich nicht wieder die Fassung zu verlieren und mich abzulenken. Ich schaute durch die Prospekte, ob irgendwas brauchbares dabei war - Fehlanzeige.

Ich schaute also gedankenverloren in der Weltgeschichte herum. Als ich draußen eine Tür hörte, dachte ich jetzt ist es soweit und spuckte meinen Kaugummi so schnell ich konnte in das Kaugummipapier und wickelte ihn darin ein; kauend vorm Therapeuten zu sitzen ist vielleicht doch etwas unangebracht. Er holte aber nur etwas aus seinem Büro und verschwand wieder im ersten Zimmer, klasse, meinen guten Kaugummi verschwendet.

Fünf Minuten später hörte ich wie er wohl einen anderen Patienten verabschiedete, dann bereitete er wohl unsere Sitzung vor schätze ich. Er steckte den Kopf ins Wartezimmer und sagte mir das es jeden Augenblick losgeht. Ich nickte unsicher, mein Lächeln war mehr schlecht als recht.


Ein paar Minuten später bat er mich ins Sprechzimmer.



*Name geändert


 
 
 

Comments


Besucher

Werde Benachrichtigt bei neuen Inhalten

Facebook Seite

© 2018 by David Bayerl. Proudly created with Wix.com

  • Facebook Seite
  • Youtube Channel
bottom of page